Ich erinnere mich noch gut an meine famous last words. Es war ein ruhiger Nachmittag, und ich drehte gerade die letzte Schraube im frisch eingerichteten Kinderzimmer unseres Sohnes fest. Der Kühlschrank war gefüllt. Alles war vorbereitet. Antje und ich sahen uns an und sagten:
„Jetzt genießen wir die letzten vier Wochen Mutterschutz und Zweisamkeit.“
Wir waren voller Vorfreude auf unser neues Leben als kleine Familie. Unser Sohn war ein absolutes Wunschkind. Bis auf die Tatsache, dass er sich vier Wochen vor dem errechneten Termin noch nicht gedreht hatte, gab es keinen Grund zur Sorge. Um ihm dabei zu helfen, war bereits ein Termin für eine äußere Wendung geplant. Die Vorsorgeuntersuchungen verliefen dennoch unauffällig, seine Bewegungen waren zuverlässig und kräftig. In dieser erwartungsvollen Stimmung, müde von Schwangerschaft und Vorbereitung, legten wir uns an einem kalten Januartag 2016 ins Bett. Doch unser Sohn hatte andere Pläne: Sohni kam etwas über vier Wochen zu früh zur Welt – per Kaiserschnitt.
Ein erstes Kennenlernen voller Nähe
Trotz dieses frühen Starts hätten wir jederzeit gesagt: Er war kein „auffälliges“ Baby. Alle Untersuchungen waren normal. Das Stillen verlief zu Beginn sehr schwierig, aber dank einer tollen Hebamme und Antjes Entschlossenheit konnten wir das überwinden.
Er lachte viel, war aufmerksam, sog alles in sich auf, war verschmust und einfach bezaubernd. Seine Entwicklung verlief planmäßig, und wir genossen die ersten Monate – trotz Schlafmangels und mancher anstrengender Phasen.
Seine Entwicklungssprünge deckten sich fast punktgenau mit dem Sprünge-Rechner aus dem Buch Oje, ich wachse! – so sehr, dass wir manchmal scherzten, Sohni müsse das Buch selbst geschrieben haben. Kognitiv wie körperlich wuchs er schnell und deutlich sichtbar. In dieser Zeit hat er uns beigebracht, was exponentielles Wachstum wirklich bedeutet.
Sohni war unser erstes Kind. Wir hatten keinen Vergleich und interpretierten vieles als „normal“. Dass er oft tagelang nur getragen werden wollte, erschien uns nicht ungewöhnlich. Wenn er weinte, beruhigte ihn die Trage sofort – ein sicheres Zeichen, dass Nähe genau das Richtige für ihn war.
Besonders nachts zeigte sich dieses starke Bedürfnis: Er schlief oft nicht einfach neben uns, sondern direkt auf uns. Ich lag auf dem Rücken, und Sohni schlummerte mit seinem kleinen Ohr auf meiner Brust, genau über meinem Herzen. Ohne diese Nähe war er unruhig – mit ihr konnten wir alle schlafen.
Rückblickend könnte man überlegen, ob Sohnis Nähebedürfnis schon ein Hinweis auf seine besondere Sensibilität war. Aber damals – ohne Vergleich, mit viel Liebe, guter Aufgabenteilung und wenig äußeren Belastungen – fiel uns das schlicht nicht auf.
Wir waren einfach glückliche, wenn auch oft erschöpfte Eltern.
Weitere kleine Hinweise
Ein paar Kleinigkeiten ließen uns jedoch gelegentlich stutzen:
Manchmal erschrak Sohni bei bestimmten Geräuschen – etwa einer Babyrassel – so heftig, dass er zusammenzuckte, als hätte ihn ein kleiner Stromschlag getroffen.
Und bei einer der U-Untersuchungen schrieb unsere damalige Kinderärztin in die Randnotizen:
Sohni sei „sehr wach und aufgeweckt, aber auch ungewöhnlich unruhig“.
Sie empfahl uns, besonders darauf zu achten, dass er lernt, zur Ruhe zu kommen.
Damals nahmen wir diese Hinweise ernst, aber ohne größere Sorgen. Unsere Erfahrungen deckten sich größtenteils mit dem, was man von anderen Eltern hörte.
Über das eigene Normal und den Blick von außen
Wir haben damals all diese kleinen Auffälligkeiten bemerkt – konnten sie aber natürlich erst sehr viel später, mit mehr Wissen und durch die Diagnose, richtig einordnen. Ein nicht zu unterschätzender Faktor dabei ist der Kontext und die Perspektive von Außenstehenden. Gerade im ersten Jahr ist man als junge Familie in einer schützenden Blase – und das ist auch gut so. Ein bisschen ist es so: Junge Eltern prägen ihr erstes Kind, und gleichzeitig prägt dieses Kind auch sie. Man erschafft sein eigenes „Normal“, ohne sich groß zu vergleichen oder zu hinterfragen. Was normtypisch ist und was nicht, lernt man oft erst, wenn man den geschützten Familienkokon öffnet und in neue Systeme eintritt.
Bei uns – wie bei vielen – begann dieser Prozess mit der Kita-Zeit. Hier wurde uns langsam und dann immer eindringlicher bewusst (und auch bewusst gemacht):
Unser Sohn hat andere Bedürfnisse. Er ist anders.
Ist Autismus im Babyalter diagnostizierbar?
Eher nein – eine verlässliche Diagnose ist im Babyalter in der Regel nicht möglich. Bei ausgeprägten Formen frühkindlichen Autismus können erste Auffälligkeiten bereits im ersten Lebensjahr beobachtet werden. Eine offizielle Diagnose wird jedoch meist frühestens nach dem ersten, oft erst im dritten Lebensjahr gestellt – insbesondere beim hochfunktionalen Autismus (Asperger-Syndrom).
“Das Asperger-Syndrom wird auch heutzutage im Allgemeinen erst deutlich nach dem Kleinkindalter diagnostiziert.” (Quelle: Elternratgeber – Autismus Deutschland e.V.)
“A.4.3.1 Kindes- und Jugendalter Bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen kann teilweise bereits im ersten Lebensjahr vor allem ein mangelndes soziales und Spielinteresse beobachtet werden. Bei der Mehrzahl der betroffenen Kindern treten die Symptome jedoch nach dem ersten Lebensjahr auf (2b, Maestro et al. 2005).” (Quelle: S3-Leitlinie Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, Teil 1: Diagnostik)
“Autismus-Spektrum-Störungen (frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus und hochfunktionaler Autismus bzw. Asperger-Syndrom) lassen sich heute bereits ab dem Lebensalter von 1 ½ – 2 Jahren diagnostizieren. Bei Kindern mit hochfunktionalem Autismus ist es manchmal erst mit 3-4 Jahren möglich eine Diagnose zu stellen.” (Quelle: Früherkennung – Hamburger Autismus Institut)
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